(Interview geführt am 23.3.2020, aktualisiert am 6.4.2020)
REWI: Wie schlimm sind die Auswirkungen der aktuellen Corona-Krise für Unternehmer?
BNK: Die Corona-Krise hat Schockwirkung auf den Aktienmarkt und sie wirkt lähmend auf die Wirtschaft. Es handelt sich um eine extrem gravierende Belastung, die in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte beispiellos ist. Freilich waren insbesondere auch die Anschläge vom 11. September 2001 und später die globale Finanzkrise im Gefolge der Lehman-Insolvenz erhebliche Belastungen. Mit der aktuellen, coronabedingten Krise sind diese Geschehnisse aber nicht vergleichbar. Denn wir leben derzeit in einer völligen Ausnahmesituation, die Unternehmer quer durch alle Branchen hart trifft; gerade Klein- und Kleinstunternehmen verzeichnen bis zu 100 Prozent Einnahmenausfälle. Für viele Unternehmer wird der dadurch bedingte Wirtschaftsabschwung zur veritablen Existenzfrage.
REWI: Rechnen Sie nun mit einer Insolvenzwelle?
BNK: Leider ist die Lage prekär. Ungeachtet des beschlossenen Hilfspakets der öffentlichen Hand ist mit zahlreichen Insolvenzen zu rechnen. Abgesehen von den erwähnten Klein- und Kleinstunternehmen sind ohnedies schon kränkelnde Unternehmen besonders gefährdet, vor allem solche, bei denen in den letzten Jahren kein belastbares Geschäftsmodell entwickelt wurde und man sich in Niedrigzinszeiten mit günstigem Fremdkapital beholfen hat. Aber auch Unternehmen, die eigentlich gesund sind und durchaus viel Eigenkapital aufweisen, sind keineswegs automatisch auf der sicheren Seite: Denn mit viel Eigenkapital kann man zwar eine Durststrecke überbrücken, aber einen dramatischen Einbruch der Umsätze verkraften selbst Unternehmen mit solider Substanz nicht längerfristig. Auch wenn sich daher – was sehr zu hoffen ist – die Situation in der nächsten Zeit bessern wird, können viele Unternehmen dann nicht mehr wettmachen, was ihnen bis dahin an Aufträgen weggebrochen ist. Zu befürchten ist hier der berüchtigte Domino-Effekt. Besonders gefährdet sind auch Start-ups: Sie haben oft eine zu geringe Eigenkapitaldecke und können Konjunktureinbrüche nicht abfedern. Außerdem planen viele Start-ups nicht langfristig genug; das wirkt sich in einer solchen Situation dann fatal aus. Die mit der COVID-19-Gesetzgebung vorgesehenen Maßnahmen im Rahmen des COVID-19-Krisenbewältigungsfonds bzw. des Härtefallfonds für Klein- und Kleinstunternehmen können hier zwar abmildernd wirken, aber Insolvenzen leider nicht unterbinden. Ich rechne daher durchaus mit einer erheblichen Zunahme von Insolvenzen.
REWI: Welche Rolle spielt das Insolvenzrecht – welche Herausforderungen gibt es derzeit?
BNK: Dem Insolvenzrecht kommt enorm gesteigerte Bedeutung zu. Die aktuelle Situation ist extrem heikel, dies gilt sowohl für bereits anhängige Verfahren, bei denen eine Sanierung auf der Kippe steht, als auch für Verfahren, die im Zuge der Krise erst zu eröffnen sein werden. PraktikerInnen sind jetzt mit zahlreichen faktischen und rechtlichen Problemen konfrontiert. Ich nenne nur einige davon: Wie sieht es mit der Konkursantragspflicht, mit einer Unternehmensfortführung im Insolvenzverfahren (Kurzarbeit?, öffentliche Zuschüsse?), mit laufenden Fristen, mit der Durchführung von Verhandlungen, mit der Erfüllung von Sanierungs- und Zahlungsplänen aus? Teilweise gibt es bereits Antworten in Form neuer Bestimmungen, viele Rechtsfragen werden vorerst aber ungeregelt bleiben.
REWI: Welche insolvenzrechtlichen Maßnahmen ergreift der Gesetzgeber aktuell und können diese zur Rettung von Unternehmen beitragen?
BNK: Derzeit ergreifen die Gesetzgeber in vielen Staaten Maßnahmen, um einen Insolvenz-Tsunami zu verhindern und die Durchführung von Insolvenzverfahren der Situation anzupassen. Ein zentraler Punkt in Österreich ist, dass die Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung bis zum 30. Juni 2020 ausgesetzt wird. Diese Maßnahme soll verhindern, dass bisher lebensfähige Unternehmen in der vorherrschenden Ausnahmesituation im Rahmen eines Insolvenzverfahrens veräußert oder zerschlagen werden und das Unternehmen oder die Vermögenswerte aufgrund der vorherrschenden Krisenbedingungen weit unter ihrem bisherigen Wert verwertet werden, weil wegen der Krise keine Sanierung erzielbar ist. Aber auch im Fall einer – durch die Corona-Krise ausgelösten – Zahlungsunfähigkeit wird Schuldnern mehr Zeit für einen Sanierungsversuch gegeben: An sich muss ein Schuldner nämlich spätestens 60 Tage nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag stellen. Diese Frist ist in einer solchen Ausnahmesituation viel zu kurz. Deshalb wurde eine Ausnahmeregelung, die ursprünglich für Naturkatastrophen geschaffen wurde, nun ausdrücklich auf den Fall der Pandemie und Epidemie ausgedehnt. Wenn die Zahlungsunfähigkeit also durch die aktuelle Corona-Krise ausgelöst wurde, hat der Schuldner nunmehr 120 Tage Zeit, um aussichtsreiche Sanierungsversuche zu unternehmen. Sofern das nicht gelingt, muss er die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragen. Ich möchte aber betonen, dass auch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens keineswegs bedeutet, dass das betroffene Unternehmen automatisch geschlossen wird, auch dann gibt es noch Rettungsmöglichkeiten. Gerade in einer Situation wie dieser erweist es sich als extrem günstig, dass unser Insolvenzrecht schon jetzt ausgesprochen sanierungsfreundlich ausgestaltet ist. Für Fälle, in denen ein Sanierungs- oder Zahlungsplan bereits zustande gekommen ist, hat der Gesetzgeber zusätzlich Vorkehrungen getroffen, damit die Sanierung nicht daran scheitert, dass der Schuldner die vorgesehenen Raten einstweilen nicht zahlen kann. Eine wichtige Maßnahme betrifft schließlich Überbrückungskredite, die zur Vorfinanzierung der Gehälter von MitarbeiterInnen in Kurzarbeit bis zur Auszahlung einer COVID-19 Kurzarbeitshilfe notwendig sind: Solche Kredite sollen nicht der Insolvenzanfechtung unterliegen.
REWI: Der Gouverneur der Österreichischen Nationalbank hat in einem Interview gegenüber dem Standard auf die reinigende Kraft von Wirtschaftskrisen hingewiesen; es müsse sichergestellt werden, dass nur die überlebensfähigen Firmen überleben. Wie stehen Sie zu dieser Aussage?
BNK: Das muss man differenziert sehen: Gewiss sollen die aktuellen Hilfsmaßnahmen nicht dazu führen, dass sozusagen nach dem Gießkannenprinzip alle Unternehmer gleichermaßen vor einer Insolvenz bewahrt werden; das widerspräche auch dem Gebot des Gläubigerschutzes. Daher sollen sich insbesondere nur solche Schuldner auf die verlängerte Insolvenzantragsfrist berufen können, bei denen die Corona-Krise wirklich die Ursache für den Eintritt der Insolvenz ist; ansonsten bleibt es bei der normalen, kürzeren Frist. Abgesehen davon meine ich aber, dass in modernen Insolvenzsystemen wie dem österreichischen die Marktbereinigungsfunktion hinter die ausgeprägte Sanierungsfunktion des Insolvenzverfahrens zurücktritt. Das gilt umso mehr in einer solchen absoluten Ausnahmesituation, in der viele – an sich völlig gesunde – Unternehmen den Betrieb kraft Gesetzes bzw. Verordnung von heute auf morgen einstellen mussten. In diesem Sinn wird gerade angesichts der noch kommenden Herausforderungen darauf zu achten sein, die Sanierungstauglichkeit des österreichischen Insolvenzverfahrens weiter zu verstärken.