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Neu im Bücherregal

Freitag, 14.05.2021

Ein enorm praxisrelevantes Rechtsinstitut, das noch viele umstrittene Fragen kennzeichnet, beleuchtet REWI-Professor Philipp Anzenberger in seiner neuen Publikation

Etwa 26.000 Mal beendet ein gerichtlicher Vergleich eines der jährlich rund 80.000 Zivilverfahren in Österreich. Und dennoch: Viele Fragen im Zusammenhang mit diesem außerordentlich praxisrelevanten Rechtsinstitut sind nach wie vor umstritten. Die neue Publikation von REWI-Professor Philipp Anzenberger bringt Licht ins Dunkel zahlreicher praktischer Problemstelllungen und zeichnet ein ebenso grundlegendes wie vielseitiges Bild des gerichtlichen Vergleichs.

 

REWI: Wie kommt es, dass bei einem so praxisrelevanten und lange bestehenden Rechtsinstitut wie dem gerichtlichen Vergleich noch vieles umstritten ist?

Philipp Anzenberger: Es stimmt, der gerichtliche Vergleich hat – als wohl zentrales Instrument der gütlichen Einigung vor Gericht – enorme Praxisrelevanz: Im Jahr 2019 haben laut Justizstatistik 35,67% der an den Gerichtshöfen erster Instanz eröffneten Verfahren durch gerichtlichen Vergleich geendet, in Arbeitsrechtssachen waren es 41,33% und in Sozialrechtssachen 33,29% der eröffneten Verfahren. Dass dennoch so viele Fragen umstritten sind, hängt insbesondere damit zusammen, dass die österreichische Zivilprozessordnung nur sehr wenige ausdrückliche Bestimmungen zum gerichtlichen Vergleich enthält. Außerdem „halten“ in der Praxis die allermeisten der vor Gericht geschlossenen Vergleiche, weil die Parteien üblicherweise an der Bereinigung ihres Konflikts interessiert sind. Die Probleme treten typischerweise erst dann auf, wenn im Nachhinein ein Streit über Abschluss oder Inhalt des Vergleichs entsteht (was aber eben zum Glück – gemessen an der Zahl abgeschlossener Vergleiche – relativ selten passiert), weshalb viele Themen auch noch nicht ausjudiziert sind.

 

REWI: Welche sind die spannendsten dieser offenen Fragen?

Philipp Anzenberger: Das hängt wohl davon ab, wen genau Sie das fragen… *lacht* Für „Uni-Menschen“ sind es wohl am ehesten die Fragen nach der Rechtsnatur und damit verbunden nach den Rechtswirkungen und der Bekämpfbarkeit des Vergleichs. Hierzu gibt es in Rechtsprechung und Literatur eine Vielzahl an einzelnen, in sich durchaus schlüssigen Ergebnissen, die sich allerdings mit anderen Einzellösungen zum Teil schwer oder gar nicht in Einklang bringen lassen. Diese Verflechtungen zu durchdenken und aufzulösen, ist für einen Wissenschafter wirklich spannend. Die Praxis interessiert sich demgegenüber eher für Fragen der Vergleichsausgestaltung, des konkreten Abschlusses sowie seines Widerrufs; hier gibt es viele Fallstricke, die auf Rechtsanwält_innen und Richter_innen lauern. In meiner Arbeit habe ich versucht, beide „juristischen Lebensbereiche“ zu vereinen und eine umfassende und kohärente Abhandlung dieses Themas vorzulegen.

 

REWI: Wie ist Ihr Interesse an dem Rechtsinstitut entstanden?

Philipp Anzenberger: Ich habe mich schon immer für Rechtsfragen an der Schnittstelle des Zivilverfahrensrechts zu anderen Rechtsbereichen interessiert, insbesondere zum Zivilrecht, aber etwa auch zum Strafrecht. Der gerichtliche Vergleich wird herrschend als „doppelfunktionale Rechtshandlung“ – einerseits als Prozesshandlung, andererseits als Vertrag – verstanden und stellt insofern gewissermaßen den Inbegriff eines Schnittstellenproblems dar. Spannend ist das ganze insbesondere deshalb, weil sich viele Jurist_innen solchen Problemen meist aus der Sicht „nur“ eines Rechtsbereichs annähern, was aber oft der Phänomenologie der Fragestellung nicht angemessen Rechnung trägt. Hier haben wir Forscher_innen noch viel Arbeit vor uns.

 

REWI: Haben Sie auch für sich Neues im Zuge der Recherchen entdeckt? Wie lange haben Sie an der Publikation gearbeitet?

Philipp Anzenberger: Für die Habilitationsschrift habe ich in etwa dreieinhalb Jahre gebraucht, wobei ich – abgesehen von einer wirklich intensiven Endphase – während dieser Zeit natürlich auch zahlreichen anderen Tätigkeiten in Forschung und Lehre nachgegangen bin. Wissenschaftlich war das wohl die bisher intensivste Phase meines Lebens. Und klar: Wer sich über mehrere Jahre hinweg intensiv mit einem Problemkreis beschäftigt, der kommt eben mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu Auffassungen, die neu sind und nicht dem Mainstream entsprechen. Gesamt gesehen habe ich auf diese Weise eine völlig andere Sicht auf mein Fach und auf die Juristerei als Ganzes entwickelt.

 

REWI: Was erwartet die Leser_innen in Ihrem Buch?

Philipp Anzenberger: Ich habe versucht, ein dogmatisch kohärentes Gesamtkonzept zu entwickeln, mit dem sich zahlreiche Probleme des gerichtlichen Vergleichsabschlusses umfassend lösen lassen. Dazu zählen Fragen der Rechtsnatur, der Rechtswirkungen, der Mängelaufgreifbarkeit, der Abschlussvoraussetzungen, der inhaltlichen Ausgestaltung und des formellen Abschlusses des gerichtlichen Vergleichs. Ich vertrete unter anderem, dass der gerichtliche Vergleich – anders als das die herrschende Auffassung sieht – eine reine Prozesshandlung ist, dass also der Vergleichsabschluss nicht notwendigerweise einen zivilrechtlichen Vertragsabschluss erfordert. Dadurch können – abgesehen von der Schaffung dogmatischer Klarheit – Vergleichsabschlüsse erleichtert und eine rasche und ressourcenschonende Konfliktbereinigung gefördert werden.

 

REWI: Gibt es schon neue Projekte?

Philipp Anzenberger: Aktuell leite ich ein EU-Projekt zur grenzüberschreitenden Forderungsvollstreckung („Train 2 EN4CE“), in dessen Rahmen Veranstaltungen insbesondere für Praktiker_innen abgehalten werden, um die Kenntnisse zu den europäischen Instrumenten der grenzüberschreitenden Forderungseintreibung (insbesondere zum Europäischen Mahnverfahren und zum Europäischen Bagatellverfahren) zu verbessern. Außerdem beginne ich in diesen Monaten in Kooperation mit der Kanzlei SCWP Schindhelm ein „Projekt zur Auslotung der rechtlichen Zulässigkeit insolvenzprophylaktischer Vertragsausgestaltung und Lösungsmechanismen“ („PARZIVAL“), wo neben der Abhaltung von Workshops zum Thema „Verträge vor und in der Insolvenz“ auch ein wissenschaftlicher Sammelband erscheinen wird. Im Herbst organisiere ich mit RA Dr. Alexander Klauser in Graz eine internationale Tagung zur neuen Europäischen Verbandsklagenrichtlinie, bei der wir prominente Vortragende aus Österreich, Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden gewinnen konnten. Davon abgesehen stehen einige Kommentarprojekte (zu Bestimmungen der IO, der neuen ReO sowie des ABGB) und einige Aufsatzprojekte zu verschiedenen prozessualen und materiell-rechtlichen Themen. Es gibt also einiges zu tun. *lacht*

Weitere Informationen zur Publikation „Der gerichtliche Vergleich“ finden Sie hier.

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